Meine Herkunfts – Sippe
Wir alle haben eine Herkunftsfamilie. Ich nenne sie gerne meine Herkunfts – Sippe.
Ich wollte diesen Artikel schon lange schreiben, habe mich aber bisher nie getraut. Einen Blogartikel zu schreiben, an dem die eigene Herkunftsfamilie teilhat, der zum einen aufrichtig sein soll und zum anderen möglichst niemanden verletzt, ist ein echter Drahtseilakt.
Jetzt ist es dran und ich tue mein Bestes.
Ich behaupte mal, meine Herkunfts-Sippe ist ziemlich reichhaltig.
Drei (wesentlich) ältere Schwestern (plus ihre jeweilig angeheirateten Männer), ein jüngerer Bruder, etwa dreißig Cousinen und Cousins, entsprechend viele Onkel und Tanten und natürlich die Groß- und Urgroßeltern, von denen ich wegen einigen Kontaktabbrüchen innerhalb der Familie, nicht alle kennenlernen durfte.
Mit 8 Jahren wurde ich selbst zum ersten mal Tante. Die Generationen innerhalb meiner Herkunftsfamilie waren also nicht klar voneinander abgegrenzt. Insgesamt gibt es sieben Nichten und Neffen. Zumindest das ist übersichtlich.
Meine Herkunfts – Sippe arbeitet in mir
Viele aus meiner Sippe (wenn nicht sogar alle!) arbeiten irgendwie in mir. Woher ich das weiß? Manchmal träume ich nachts von ihnen. Da entstehen im Traum Situationen, die es im echten Leben so nie gegeben hat. In diesen Träumen spielen Altersgrenzen zum Beispiel überhaupt keine Rolle. Da treffen meine – mittlerweile erwachsenen – Kinder auf ihre Vorfahren, die bereits verstorben sind, als sie noch klein waren.
Erwache ich aus einem solchen Traum, hängt er mir meistens noch eine Weile nach. Manchmal fühlt es sich irgendwie innerlich klebrig an. Je nach Kontext fühlt sich mein Körper irgendwie schwer an oder ich befinde mich in einer diffus schlechten Stimmung , die ich mithilfe einer ausgiebigen Morgenroutine zunächst einmal etwas besänftige. Erst danach kann ich wirklich in den Tag starten. Alles andere ginge zulasten meiner Mitmenschen.
Die Familien von Vater und Mutter
Meine Großmutter väterlicherseits und die jüngeren Geschwister meines Vaters sind während des zweiten Weltkriegs in dieses Land geflohen. Er selbst und sein Vater mussten als Soldaten im Krieg kämpfen und gerieten in russische Kriegsgefangenschaft. Noch Jahrzehnte später wachte mein Vater in mancher Nacht schweißgebadet aus schweren Träumen auf. So ein Kriegstrauma sitzt! Nicht nur in der Kriegsgeneration.
Einige Mitglieder der Familie meines Vaters sind (Aus-) Wanderer. Sowohl in den USA als auch in Canada leben (nahe und etwas entferntere) Verwandte, die ich zum Teil nie kennengelernt habe.
Die Familie meiner Mutter verkörperte das genaue Gegenteil. Meine Mutter und ihre Schwestern sind ihrem Herkunfts-Dorf am Niederrhein ein Leben lang treu geblieben. Im Grunde hatte mein Vater, was seinen zukünftigen Wohnort betraf, keine Wahl. Wollte er meine Mutter heiraten, so würde sein Leben fortan im kleinen Herkunfts-Dorf meiner Mutter stattfinden. Er hat sie geheiratet!
Über dreißig Jahre später wurden die beiden geschieden und sprachen fortan kein Wort mehr miteinander. Sie hatten weder Ideen noch die Fertigkeiten, die tiefen Gräben und hohen Schutzmauern, die sie während ihres Lebens um sich gezogen und errichtet hatten, zu überwinden.
Die (früh) Verstorbenen
In beiden Herkunftsfamilien gab es verstorbene Geschwister. Sowohl mein Vater als auch meine Mutter wurden als drittes Kind der jeweiligen Familie geboren. Nach dem (verfrühten) Tod ihrer älteren Geschwister durch Krieg und Unfälle waren sie dann aber doch für die längste Zeit ihres Lebens die Ältesten in der jeweiligen Geschwisterreihe.
So füllten beide eine Rolle aus, in die sie nicht hineingeboren waren. Und obwohl sie das gleiche Schicksal verband, war es ihnen nicht möglich, es miteinander zu teilen. Die Rolle der verstorbenen Geschwister sehe ich vor allem darin, dass der Blick meiner Eltern so stark und fast wie paralysiert auf diese schmerzhaften, unverarbeiteten Verluste gerichtet war, dass sie ihren eigenen Kindern emotional nicht gerecht werden konnten. Die Wunden, die diese Dramen in ihnen hinterlassen haben, heilten ein Leben lang nicht aus. So wurde viel Trauma an die nächste Generation – also an uns Kinder – weitergereicht. Der Krieg und das Leben haben leere Stühle am Familientisch hinterlassen. Das erging selbstverständlich vielen Familien so. Was es nicht besser macht! Wie war es bei euch?
Aber jetzt wieder zu den Lebenden der Sippe. So viele Menschen, die mich geprägt, teilweise erzogen oder mit-erzogen haben, haben ihre Spuren in mir hinterlassen. Neben bestimmten Werten krallen sich übernommene Vorurteile und Konditionierungen ziemlich hartnäckig in mir fest. Zwischendurch denke ich, dass ich sie längst überwunden hätte und tappe dann doch prompt wieder in eine der alten Fallen.
Und gerade dann, wenn ich den Eindruck habe, mittlerweile erwachsen und unabhängig zu sein, schrumpfe ich in einem Telefonat mit einer meiner älteren Schwestern augenblicklich zur „kleinen“ Schwester. Mist! Schon wieder!
Wir sind in unsere Herkunftsfamilie hineingewoben
Wir können es drehen wie wir wollen, wir sind mitten hineingewoben in genau diese Sippe und daran wird sich auch in diesem Leben nichts mehr ändern. Und das ist richtig so! Das Leben hat uns genau dorthin gepflanzt, wo wir alles antreffen, was wir zum Abtragen unseres angehäuften Karmas brauchen. Wir sind an einem Ort ausgesetzt und für die nächsten Jahre auf Gedeih und Verderb den Umgebungsbedingungen ausgeliefert.
Bleibt uns eigentlich nur, das Kreuz (möglichst bereitwillig) auf uns zu nehmen.
Ich versichere dir, dass die Haltung, mit der eigenen Herkunft nicht in Widerstand zu gehen, enorm zu deinem inneren Frieden beitragen kann. Es führt ja auch zu nichts, mit dem Schicksal darüber zu hadern, dass ich in der (scheinbar) falschen Familie gelandet bin. Das ist tatsächlich niemand!
Natürlich könnte ich mich dazu entscheiden, diejenigen Kontakte abzubrechen, die mir allzu unbequem sind. Warum sollte ich Kontakte aufrechterhalten, die triggern? Ich finde es allerdings definitiv nicht zielführend, irgendwelche innerfamiliären Kontakte nachhaltig abzubrechen. Auf diese Weise werde ich jedenfalls niemals wirklich frei sein. Das Vermeiden dieser Kontakte erschafft erst recht Verstrickungen.
Besser wir gehen den Weg, sorgfältig darauf zu achten, wann wir wieviel Zeit mit wem verbringen und auf die Qualität dieser Zeit Einfluss zu nehmen. Wir müssen auch nicht am selben Ort leben, wie die anderen. Es macht sehr viel Sinn, ein wenig Luft zwischen mir und meinen Verwandten wehen zu lassen.
Über das Phänomen der „Kontaktabbrüche“ habe ich einen eigenen Blogartikel geschrieben, den zu lesen ich dir an dieser Stelle sehr empfehle.
Was hilft mir, ein ausgewogenes Verhältnis von Nähe und Distanz zu wahren?
Eine tiefe Selbstverbindung und ein starker innerer Anker sind hier von unschätzbarem Wert.
Wir sind der Sippe nicht hilflos ausgeliefert
All das, was ich bis hierhin geschrieben habe, soll nicht den Eindruck erwecken, dass wir unserer Herkunfts-Sippe hilflos ausgeliefert sind. Selbstverständlich ist es möglich, innerlich frei zu werden.
Der Weg, mich von meiner Sippe zu befreien, bedeutet aber nicht, dass ich mich von den Menschen irgendwie wirklich befreien müsste. Es bedeutet eher, die Konditionierungen udn Begrenzungen aufzugeben, die ich von ihnen übernommen habe. Ich muss mich nicht nachhaltig von den Menschen abwenden, lediglich von deren Glaubenssätzen. Ihre Glaubenssätze sind nicht meine, waren es im Grunde nie.
Wir übernehmen Meinungen und Glaubenssätze, weil wir durch unsere Kinder- und Jugendzeit hindurch von der Sippe komplett abhängig sind. Was bleibt uns also übrig als so zu werden, als uns so zu verbiegen, dass wir irgendwie hineinpassen? Erst wenn diese tatsächliche Abhängigkeit vorbei ist, sind wir wirklich in der Lage, uns innerlich frei von den alten Zöpfen zu machen.
Das gelingt allerdings nur dann, wenn wir uns unserer eigenen Rolle inmitten der Herkunfts-Sippe bewusst werden.
Welches Spiel spielen wir?
Welches Spiel spielen wir selbst innerhalb der Familie? Wer nützt uns an welcher Stelle wofür? Brauchen wir das „Enfant terrible“, um uns selbst besser zu fühlen? Es macht sehr viel Sinn, uns selbst auf die Spur zu kommen. Nur wenn wir aufrichtig auf uns selbst schauen, haben wir die Chance, innerlich von der Sippe unabhängig zu werden.
Wenn die Herkunfts – Sippe – so, wie bei mir – groß ist, ist es klar, dass wir nicht zu allen gleichermaßen Kontakt halten können. Und wollen! Vielleicht gibt es eine Lieblingstante? Bei mehreren Geschwistern gibt es Vorlieben. Manche sind vielleicht voneinander genervt. Das alles kann zu Eifersüchteleien und Machtspielchen führen. Treten bei einigen meiner Verwandten tatsächlich Gefühle wie Eifersucht oder Missgunst auf, ist es wichtig, auf dem Schirm zu haben, dass diese Gefühle mehr mit der betreffenden Person zu tun haben als mit mir. Ich muss mich also nicht (mehr) für jemanden aus der Sippe verändern. Ich darf mein eigenes erwachsenes Leben führen. Meine eigenen Entscheidungen treffen. Dieses Wissen ist unglaublich befreiend!
Und was sagt (mein Mann) Thomas zum Thema?
In Vorbereitung dieses Artikels habe ich auch meinen Mann Thomas gefragt, was ihm in den Sinn kommt, wenn er an seine Herkunfts-Sippe denkt. Nachdem er ein paarmal tief ein- und ausgeatmet hat, kamen Begriffe wie „Familientraditionen, Puckelige Verwandtschaft, Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm, Ganz die Mama oder Ganz der Papa“. Als ich es etwas persönlicher haben wollte, sagte er, dass bei ihm bei dem Gedanken an seine Herkunftsfamilie innerlich Jalousien runter gehen und dass er sich bei dem Thema blockiert fühlt. Wir haben es dabei belassen.
Wie geht es dir, wenn du an deine Herkunfts-Sippe denkst? Gibt es Blockaden oder fällt es dir leicht, mit deinen Verwandten umzugehen? Gibt es ein paar gute Kontakte? Oder Kontaktabbrüche? Schreibe gerne etwas in die Kommentare oder nimm einen anderen Weg. Es interessiert mich sehr.
In diesem Sinne wünsche ich dir alles Liebe in der tiefen Gewissheit, dass du auf jeden Fall am richtigen Ort groß geworden bist,
Deine Daniela
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