Nimm dich mit – Wenn wir uns selbst verloren gehen
Nimm dich mit – Wenn wir uns selbst verloren gehen.
Wir kommen auf die Welt.
An einem bestimmten Tag werden wir von einer Mutter geboren. Bis heute ist das die Komponente, die uns allen gemein ist. Etwas, das uns verbindet. Wir alle – ausnahmslos – wurden von einer Mutter geboren.
Ab hier geht es für jede/n von uns individuell weiter. Wir sind ab sofort den Regeln und Mechanismen unseres persönlichen Umfeldes und der gesamten bestehenden Welt ausgeliefert. Noch wissen wir nicht viel von diesen Regeln.
Noch sind wir ganz bei uns.
Allerdings sind wir ab unserer allerersten Stunde Erwachsenen ausgesetzt, von denen viele (ich behaupte: die meisten) die Fähigkeit, „ganz bei sich“ zu sein, auf ihrem Weg durchs Leben verloren haben.
Manche von uns wurden von Menschen großgezogen, die einen Krieg erlebt haben. Vielleicht haben einige selbst Kriegserfahrungen. Aber nicht nur Kriegserleben, auch andere Formen von Gewalterfahrung zerlegen die Ganzheit des Menschen in ihre Einzelteile. Wer Trauma erlebt hat, in welcher Form auch immer, und keine würdigende und mitfühlende Begleitung bekam, war aufgrund einer Überforderung des Nervensystems gezwungen, Teile von sich abzuspalten. Unsere Innenwelten zersplittern bei extremer Stress- und/oder Gewalterfahrung. Wir erleben uns nach solchen Episoden lediglich noch in Fragmenten. Wir gehen uns selbst verloren. Sind nicht mehr „Ganz“.
Eine existenzielle Bedrohung
Wenn unsere Innenwelten nicht mehr „Ganz“ sind, sind wir auch nicht mehr „ganz bei uns“. Das Verdrängte soll um keinen Preis noch einmal gefühlt werden, weil dies im subjektiven Erleben eine existenzielle Bedrohung darstellt. Auch wenn wir heute in einem vollkommen sicheren Umfeld leben, fühlt es sich manchmal lebensbedrohlich, zumindest aber höchst beunruhigend an, wenn wir mit den verdrängten Anteilen in uns in Berührung kommen.
Das hat massive Auswirkungen auf unser Erleben in der Welt. Besonders darauf, wie wir in unseren Beziehungen stehen.
Wir sind eigentlich nie „ganz bei der Sache“. Sind nicht in dem Kontext präsent in den wir gerade involviert sind. Das äußert sich auf vielfältige Weise. „Nicht bei sich zu sein“ ist ein gigantischer Kommunikations-Saboteur. Sehr häufig kommt es vor, dass wir unserem Gegenüber nicht richtig zuhören. Allzu oft sind wir gedanklich abwesend. Machen unter Umständen Zugeständnisse, die wir garnicht vorhaben, zu erfüllen. Wir können den Focus nicht halten oder bekommen Dinge in den falschen Hals, weil wir uns aufgrund unserer verletzten Anteile angegriffen fühlen und schnell überreagieren. So manche/r führt ein Leben wie auf einem Pulverfass. Überall lauern Trigger. Die Beziehungen zu unseren Mitmenschen können sich unter diesen Umständen nicht gesund entwickeln und erst recht nicht vertiefen. Sie bleiben oberflächlicher Natur, weil wir uns immer nur in dem Maße auf andere einlassen können, wie wir mit uns selbst in Verbindung sind.
Kurz: Das Leben ist unglaublich anstrengend, wenn wir nicht richtig „bei uns“ sind.
Willst du bei anderen etwas errreichen? Dann nimm dich selbst mit!
Gerade dann, wenn wir bei anderen Menschen etwas erreichen wollen, macht es totalen Sinn, zunächst mit uns selbst wieder ins Vertrauen zu kommen. Nimm deine eigene Verstörtheit wahr. Wenn du kannst, verurteile sie nicht. In dem Phänomen, unsere Störungen zu erkennen, ohne sie zu bewerten, liegt großes Heilungspotential. Es muss aber aufrichtig sein. Nur wenn wir unsere eigenen Muster erkennen, ist es möglich, darüber hinaus auf andere zu schauen. Wenn wir durch die Brille unserer alten Denkweisen schauen, sehen wir in anderen nur das, was der Blick durch ebendiese Brille zulässt.
Wir sehen nicht das, was ist.
Wie soll es auf diese Weise gelingen, zu unseren Mitmenschen durchzudringen? Da sind vielfältige Störungen und Missverständnisse in den Interaktionen mit Anderen vorprogrammiert. Wie könnte beispielsweise Mitgefühl aufrichtig sein, wenn wir den Zugang zum (Selbst-) Mitgefühl verloren haben? Wenn wir keinen Kontakt zu unseren eigenen tiefen Wunden haben, wissen wir nicht, wie sich die tiefen Wunden der Freundin wirklich anfühlen. Wie könnten wir Wahrhaftigkeit nach außen verkörpern, wenn wir uns selbst lediglich in Fragmenten erleben?
Gerade im Umgang mit Kindern greifen wir aus Unsicherheit gerne auf Erziehungs-Ratgeber und pädagogische Konzepte zurück. Die ganz individuellen Beweggründe jedoch, warum ein Kind auf eine bestimmte Art reagiert, erkennen wir oft nicht. Hier wird pauschalisiert und es werden Konzepte festgelegt. In den Jahren meiner kindertherapeutischen Arbeit wurde ich mit Belohnungskonzepten und Punkteplänen konfrontiert, die lediglich dazu dienen sollten, das Kind (möglichst schnell) umzuerziehen. Das innere Erleben des Kindes wurde dabei viel zu wenig als Ausgangspunkt jeglicher Verhaltensauffälligkeiten gewürdigt und in den Focus gerückt. Kurzfristig mag es gelingen, ein Kind auf diese Weise zu konditionieren. Dauerhaften Erfolg bringt so etwas nicht!
Das eigene Erleben verstehen
Was können wir also tun, damit wir den Zugang zu uns selbst wiederfinden?
Wenn ich bei anderen etwas erreichen möchte, macht es Sinn, die grundlegenden Muster, nach denen wir alle funktionieren, aus dem eigenen Erleben heraus zu verstehen.
Und wie geht das?
Wenn du wissen möchtest, wie die Welt funktioniert, werde still!
Das ist die Essenz auf einen Satz gebracht.
Wenn wir still werden
Werden wir still, so kann es geschehen, dass wir unliebsame Stellen in uns selbst aufspüren. „Nimm dich mit“ bedeutet in dem Zusammenhang, dass wir uns selbst diese Anteile zugestehen. Das ist nicht angenehm. Wer erkennt in sich selbst schon gerne den brennenden Neid auf die Nachbarin, die zehn Kilo weniger wiegt. Wer möchte die Angst, den Partner zu verlieren, der in letzter Zeit häufig spät von der Arbeit kommt, in vollem Umfang spüren? Hat er längst eine Andere? Vielleicht die neue Mitarbeiterin? Plötzlich brennt tief drinnen heiße Eifersucht. Wird sie zu heiß, gehen wir lieber ausgiebig shoppen. Oder daddeln am Handy. Das lenkt so herrlich von unseren inneren „unheiligen“ Stellen ab. Kommen wir allzu nah an diese „unheiligen“ Stellen in uns heran, kann das wie ein Sturmfeuer sein, welches uns innerlich zu verbrennen droht.
Den seit Jahrzehnten sorgfältig eingeschlossenen Emotionen, die wir tief in uns antreffen, wollen wir um keinen Preis begegnen! Ich bin ja schlimmer als diese blöde Kuh, die neulich im Nachmittagstalk über ihre misslungene Brustvergrößerung berichtet hat. Die war auch neidisch und eifersüchtig. Nämlich auf den Busen der Arbeitskollegin. So in etwa.
Erleben wir in uns selbst Zustände, die wir in anderen kaum ertragen, kann unsere Reaktion darauf so überschießend sein, dass wir Angst bekommen, die Kontrolle zu verlieren.
Und diese Angst ist berechtigt.
Wie sehr uns überschießende Emotionen aus dem Gleichgewicht bringen, hängt natürlich ganz davon ab, wie sehr unser Leben von Kontrollwunsch und -verhalten durchwoben ist. Es ist tatsächlich möglich, dass wir eine Zeitlang nicht wie gewohnt funktionieren.
Nimm dir Zeit für deinen individuellen Heilungsprozess. Vielleicht dauert es etwas, um dich selbst neu zu finden. Dich selbst neu kennenzulernen.
Als ganzen Menschen.
Willst du innerlich frei werden?
Wollen wir innerlich frei, wollen wir wahrhaftig und „echt“ werden, dann ist es wichtig, diese unerwünschten Anteile in uns zumindest zu kennen. Wir müssen sie nicht sofort lieben. Frieden schließen wäre vielleicht eine Option. Oder zumindest „Waffenstillstand“.
Je älter wir werden, umso schwieriger wird es, die ungeliebten Fragmente in uns noch länger zu unterdrücken. Das Leben fordert uns immer mehr heraus. Es lenkt uns förmlich zu diesen unheilen Anteilen in uns hin. Lass dich lenken. Sowohl das Alter an sich als auch mögliche Gebrechen, die wir vielleicht noch eine Zeitlang versuchen zu betäuben, laden uns ein, hinzuschauen. Und vor allem: Hinzuspüren!
Im Spüren liegt Heilung!
Es war das Spüren, welches zu gegebener Zeit nicht möglich war. Dafür konntest du nichts. Auf das heutige Vermeiden oder Erlauben, das Drama um der Heilung Willen jetzt zu spüren, hast du Einfluss. Nutze diesen Einfluss dir selbst, deinen Kindern und anvertrauten Menschen und der Welt zuliebe.
Zum Glück gibt es mittlerweile sehr hilfreiche Angebote, sodass niemand alleine durch allzu schmerzvolle Episoden gehen muss. Darum lautet meine Ermutigung: Nimm dich mit! Vertraue den inneren Heilungsprozessen. Wenn du unsicher bist, oder aus einen anderen Grund Unterstützung suchst, dann werfe gerne einen Blick in meine Angebote.
Alles Liebe für dich…
Deine Daniela
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