
Warum Yoga? – Und warum eigentlich nicht?
Warum Yoga? – Und warum eigentlich nicht?
Wenn ich morgens aufwache, mich ausgiebig räkele und mich für ein paar Minuten in die Bauchlage begebe, dann ist das Yoga. Ich spüre, dass mein Körper in der Bauchlage anders entspannt als in der Rücken- oder Seitenlage. Eventueller nächtlicher Stress oder Anspannungen lassen merklich nach. Ganz bewusst fühle ich den Kontakt zur Unterlage und lasse los, so gut ich kann. Fünf Minuten reichen oft schon aus und machen den Unterschied. Schon dieses kleine Ritual verändert den ganzen Tag.
Das ist Yoga!
Yoga ist nicht Sport. Er ist keinesfalls ausschließlich Asanas. Vor allem ist Yoga keine Challenge, also kein Wettbewerb. Yoga konkurriert nicht. Weder mit Fitnessprogrammen noch mit irgendwelchen religiösen Ausrichtungen. Dazu, was Yoga ist und als was ich ihn (Ja, es heißt „der“ Yoga) erlebe, schreibe ich später mehr.
Ist Yoga wirklich gefährlich?
Zunächst möchte ich mich allerdings kurz damit beschäftigen, dass der Yoga in einigen Orthodoxen Kirchen immer noch rundweg abgelehnt, sogar als gefährlich eingestuft wird.
«Die Synoden betrachten Yoga als spirituell gefährlich, weil man damit nicht erreicht, was man in der christlichen Orthodoxie erreichen will» (kath.ch)
So erklärt es der Priester Stefanus Athanasiou, Lehrbeauftragter für orthodoxes Christentum an der Uni Freiburg. Möglicherweise hat er Recht.
„Im Gebet strebten die Gläubigen nach der Öffnung des Herzens zu Gott und den Mitmenschen, beim Yoga gehe es dagegen darum, in sich selbst hineinzugehen.“ argumentiert er.
Eine unvollständige Argumentation
Ich halte die Argumentation für unvollständig. Hier fehlt mir eindeutig der große Zusammenhang, der Weitblick. Zunächst ist es richtig, dass der Yoga in die Selbstverbindung führen soll. Die Verbindung zu sich selbst, zum eigenen Körper wird gestärkt. Erst dann, wenn wir uns in uns selbst verankern, erleben wir Stabilität in den Verbindungen zu anderen. Erst, wenn wir unsere eigene Stabilität gesichert haben, können wir anderen Menschen Halt geben.
Stelle ich jetzt die Fragen „Wo finde ich Gott denn eigentlich?“, oder „Wohin muss ich mich wenden, wenn ich mein Herz für Gott öffnen möchte?“ so finde ich die Antwort in der Bibel selbst.
In der Lutherbibel (Ausgabe 1912) heißt es in Lukas 17, Vers 21 „Das Himmelreich ist inwendig in euch.“
Im 1. Korintherbrief in der Einheitsübersetzung beschreibt Paulus: „Wisst ihr nicht, dass ihr Gottes Tempel seid und der Geist Gottes in euch wohnt?“ (1. Korinther 3,16)
Weiter heißt es: „Oder wisst ihr nicht, dass euer Leib ein Tempel des Heiligen Geistes ist, der in euch wohnt und den ihr von Gott habt? Ihr gehört nicht euch selbst; denn um einen teuren Preis seid ihr erkauft worden. Verherrlicht also Gott in eurem Leib! (1. Korinther 6, 20-21)
Noch Fragen?
Wenn wir Gott begegnen wollen, so werden wir nicht umhin kommen, ihn in uns selbst zu suchen. Bleiben wir nach außen gerichtet, so bleibt unser Gottverständnis im Glauben verhaftet. Wir kommen so nicht in eine eigene Erfahrung. Der Yoga- und Meditationsweg ist nach meinen Beobachtungen und Erfahrungen ein Königsweg, um Gott in uns selbst zu „verherrlichen“. Um Gott in uns zu finden, müssen wir still werden. Das geht nicht in einem lärmenden Geist. Ebendiese Stille wird im Yoga geübt.
Die Mystikerin und Kirchenlehrerin Teresa von Avila sprach diesbezüglich gerne vom „Inneren Gebet“.
Innen und Außen
Innen UND Außen. Nur beides zusammen wird auf Dauer zielführend sein. Religionen, die dies vehement verleugnen oder blockieren, demontieren sich langfristig selbst zu Auslaufmodellen.
Sich nur nach Innen oder nur nach Außen zu orientieren, trägt nicht zur Verbindung bei, schafft keine Balance. Wir brauchen beides. Leider wird die Bewegung zur Inneren Stille hin in unserer gesamten Kultur immer noch sehr vernachlässigt, verdrängt oder einfach in Abrede gestellt.
Es gibt allerdings zunehmend mehr kirchliche Gemeinden, die den Nutzen der uralten Tradition erkannt haben und eine Art christliches Yoga anbieten. Warum eine jahrtausende alte, nachweislich wirkungsvolle Tradition „verchristlicht“ werden muss, ist mir nicht klar, dennoch begrüße ich die verbindende Öffnung hin zum Yoga.
Ich hatte vorhin beschrieben, dass Yoga uns tiefer in die Selbstverbindung führen soll. Wenn Kirchenverantwortliche diesen Umstand kritisieren oder als Ausschlusskriterium sehen, übersehen sie einen wichtigen Aspekt. Nämlich den, dass die Selbsterkenntnis ebenso wie die Selbstliebe die ersten Schritte sind, um überhaupt etwas außerhalb unserer Selbst wirklich zu erkennen, geschweige denn zu lieben. Sie übersehen, dass wir unser Herz nur dann wirklich für andere öffnen können, wenn wir es zunächst für uns selbst geöffnet haben.
Was bedeutet Yoga eigentlich?
Die altindische Übersetzung von „Yoga“ bedeutet „anjochen“ oder „verbinden“. Der Sanskrit beschreibt es als „Einheit“.
Aber was soll eigentlich verbunden werden?
Alles, was über die Jahrtausende aufgespalten wurde, darf sich durch Yoga wieder verbinden.
- Körper, Seele und Geist.
- Wir dürfen uns an das Leben „anjochen“.
- In die Verbindung zu Gott gehen.
- Tiefere Verbindungen zwischen Partnern und zu den Kindern.
- Die Verbindung zu allen anderen Lebensformen erkennen.
- Verbindung zur Erde praktizieren.
Yoga ist eine Lebensentscheidung. Eine Lebensausrichtung. Das erste Yoga-Sutra von Patanjali lautet: „Hier und jetzt beginnt Yoga“. Damit wird klar gemacht, dass er nicht in der Zukunft stattfindet. Yoga ist! Hier und jetzt. Und damit haben wir jederzeit die Möglichkeit, uns ihm zuzuwenden. Wir können sozusagen sofort damit beginnen.
Der Atem
Der Atem beispielsweise ist ein großer Aspekt des Yoga. Atem verbindet mich mit der Welt. Atem verbindet mich mit Gott. Der Atem verbindet mich mit allem, was lebt. Mit Bäumen, dem Meer, unseren Mooren usw. Der Atem ist wie ein roter Faden, der sich vom sprichwörtlichen „ersten Atemzug“ bis zum „letzten Atemzug“ durchzieht. Ein. Aus. Atmen ist Yoga. Darum kann jede/r, die atmet, Yoga praktizieren. Und damit kann man in jedem Alter beginnen. Wir brauchen weder einen speziellen Fittnesgrad noch müssen wir unser Gewicht optimieren.
In der Recherche zu diesem Blogartikel habe ich meinen Mann Thomas gefragt, warum er nun auch schon seit Jahren im Yogakurs ist und warum Yoga für ihn den Unterschied macht. Die Antwort spricht für sich: Thomas sagte, dass er das Nachspüren zwischen den einzelnen Übungen als besonders wirkungsvoll erlebt. Er kommt mithilfe dieses Spürens immer mehr „zu sich“.
Für mich ist Yoga eindeutlig die Art und Weise, wie ich lebe. Meine Ernährung, mein Umgang mit mir selbst und anderen, die Art, mich zu bewegen oder wachsendes Erkennen unserer Funktionsweise und der Naturgesetze. Ich spüre sehr gut, dass entlang wachsender Liebe zu mir selbst, die Liebe zu allem anderen ebenfalls wächst. Je mehr ich erkenne, wer ich eigentlich bin, desto mehr erkenne ich die Welt. Das Christus- Bewusstsein wächst. Ganz sicher entfremdet mich Yoga nicht von Gott. Eher ist das Gegenteil der Fall.
Heilung durch gezieltes Hinspüren
Gerade traumasensibel angeleiteter Yoga hat enormes Heilungspotential. War unser Körper (-gedächtnis) jahrzehntelang der Speicherort für Trauma, Stress und anderen, häufig zivilisationsbedingten Leiden, so ist jetzt der Zeitpunkt, ihn durch gezieltes Hinspüren wieder zu entlasten. Wir dürfen in der Yogastunde das sukzessive Ablegen dieser Belastungen und im Gegenzug dazu mehr Leichtigkeit üben. Die Befähigung und die Erfahrung, dass dies möglich ist, darf sich dann schon bald über die Yogastunde hinaus im Alltag fortsetzen.
Warum also nicht Yoga?
In diesem Sinne
Alles Liebe …
Deine Daniela
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