Das Leben der Anderen

Auf dem Bild ist ein Feldweg zu sehen, einige Menschen und der Schriftzug "Das Leben der Anderen".


Das Leben der Anderen

Das Leben der Anderen

Warum fasziniert uns das Leben der Anderen oft mehr als unser eigenes?
Ganz gleich, ob es sich um die Nachbarin, den Polizisten im Fußballstadion, den Clown im Zirkus oder die Klassenlehrerin des jüngsten Kindes handelt. Was ist mit der Kronprinzessin, dem Rockstar und der Präsidentin aus dem Fernsehen, denen ich vielleicht niemals persönlich begegnen werde? Es spielt überhaupt keine Rolle, um wen es sich genau handelt.


Wir alle sind miteinander verwoben, manchmal auch verstrickt. Wir alle haben etwas miteinander zu tun.

Vielleicht ist das der Grund, warum wir uns so sehr für das Leben und die Lebenssituation anderer Menschen interessieren. Oft sogar mehr als für unsere eigene.

Aber nicht nur, dass mich das Leben der Anderen besonders interessiert, es gibt noch einen weiteren Aspekt, der mich dazu treibt hinzuschauen, was die Anderen in ihrem Leben so anstellen: Ich vergleiche! Ich vergleiche mich mit den Anderen, mein Leben mit dem Leben der Anderen. Ich vergleiche die jeweiligen Lebenssituationen. Was hat sie, das ich nicht habe? Warum ist er so reich und berühmt und ich lebe alleine mit einem Job, der kaum zum Leben reicht? Warum bekommt sie in einer Stunde fünfzig Likes und ich maximal fünf? Was mache ich falsch? Wir vergleichen uns mit anderen Menschen und schneiden dabei meistens schlechter ab. Das ist so, weil wir uns besonders gerne mit genau den Menschen vergleichen, die in einer (vermeintlich) besseren Situation stecken.

Zeitschriften und Social- Media- Kanäle sind voll davon. Vom Leben der Anderen. Warum haben die Kanäle vieler Promis oder der königlichen Familien Millionenaufrufe? Das hat sicher mehrere Gründe, die ich hier nicht alle im Einzelnen aufzählen möchte.

Eines geschieht aber ganz sicher:

Auf jeden Fall lenken mich die neuesten Kapriolen der Stars von meiner eigenen Lebenssituation ab. Für kurze Zeit spüre ich Glanz und Glamour der Prinzessin. Sehe sie, hübsch gekleidet, beim Spaziergang mit ihren – ebenso hübsch gekleideten – Kindern, die vielleicht im gleichen Alter sind wie meine. Ich habe schon so viel von ihr gesehen, dass ich fast den Eindruck habe, sie persönlich zu kennen. Auch hier wird kräftig verglichen. Ist sie schlanker als ich? Ob sie ihre Haare färbt? Was für eine schicke Bluse. Gibt es vielleicht noch andere Schnittmengen zwischen ihrem und meinem Leben außer dem Alter der Kinder?

Je leidenschaftlicher ich die Kapriolen der Stars und Sternchen verfolge, umso weniger intensiv klopfen unangenehme oder unkomfortable Aspekte meines eigenen Lebens an. Sie erscheinen dann wie durch eine Milchglasscheibe. Trauer, Lebensfrust oder Einsamkeit tun für einen Moment nicht mehr so weh. Dabei vergessen wir gerne, dass uns die Anderen genau den Ausschnitt von sich präsentieren, den sie zeigen möchten. Uns selbst hingegen sehen wir wohl oder übel ganz. Jedenfalls dann, wenn wir hinschauen. Und hinfühlen!

Aber nicht nur das. Während der Filter der Medien bei fremden Menschen oft unsere Neugier weckt, begegnen wir im echten Leben allem, was uns fremd erscheint, oft eher skeptisch oder gar misstrauisch. Auf die Distanz kann ich mit einem gewissen „Sicherheitsabstand“ Urteile fällen. Kann mir aus den knapp gehaltenen Beitragsschnipseln eine Meinung bilden und kommentieren, ohne meinem Gegenüber in die Augen schauen zu müssen. Und das alles ohne überprüft zu haben, ob die Berichterstattung, die an manchen Stellen publiziert wird, überhaupt wahrhaftig ist. Ein bisschen wie Leben aus zweiter Hand.

Und da die Meldungen niemals abreißen, kann ich mir ein Gefühl von (medialer) Verbundenheit mit den entsprechenden Personen immer wieder abholen.

Leider hält dieses Gefühl der Verbundenheit nur sehr kurz an. Darum brauchen wir es immer wieder neu. Was für ein Stress!

Dass wir Menschen soziale Wesen sind, ist eine Binsenweisheit. Wir brauchen andere Menschen, um uns beispielsweise geborgen zu fühlen. Und wir brauchen sie „ohne Filter“. Um wirklich gesund zu bleiben, brauchen wir auch den Körperkontakt zu Anderen. Zum Beispiel in Form von Umarmungen. Zärtliche Berührungen produzieren das Kuschelhormon Oxytocin, welches uns – unter anderem – zufriedener und somit insgesamt friedlicher macht.

Aber wie hilflos interagieren wir im echten Leben oft miteinander? Häufig hapert es ja schon in der Beziehung zu unserem Lebenspartner. Die Praxen der Paarcoaches sind voll. Und das ist gut so, denn da finden sich Menschen, die ihre Beziehung noch nicht aufgegeben haben.

Wenn wir miteinander im ungefilterten Kontakt sind, gibt es Muster, die immer wieder sichtbar werden. Ich zähle hier zwei häufige Denkweisen auf, die ich zum einen bei mir selbst und auch in meiner Arbeit als Therapeutin kennengelernt habe. Sie stecken oft hinter gut gemeinten Ratschlägen oder Empfehlungen.

  • Ich möchte für dich das, was in meinen Augen das Richtige für dich ist.

Ich kenne mich schließlich aus! Hier ist der Wunsch nach Kontrolle ganz weit vorne. Wenn ich für jemand anderen irgend ein bestimmtes Ziel anpeile, bin ich nicht richtig im hier und jetzt verankert. Ich schaue in eine imaginäre Zukunft. Und ich habe ein Bild von dir (und mir?) und bestimmten Abläufen, die dich (oder uns?) in eine zukünftige Lebenssituation bringen (sollen), im Kopf. Weichst du nun allzu weit von diesen Abläufen ab, könnte es ja anders kommen als ich es mir vorstelle. Dann verliere ich den Überblick und mein subjektives Gefühl von Sicherheit.

Gerade Coaches und therapeutische Fachkräfte müssen an dem Punkt gute Selbstbeobachtung betreiben, um ihre Vorstellung von Ergebnissen (Ergebnisse sind erst einmal Zukunftsmusik!) im therapeutischen Kontext nicht ihren Klienten aufzubürden.

  • Du sollst es so machen wie ich es mache!

Ich weiß wie es geht und ich mache es richtig! Und du sollst es bitte genauso machen wie ich. Egal, ob es sich um Ernährungsgewohnheiten, um Freizeitaktivitäten oder um das Fernsehprogramm handelt. Du sollst das, was ich gut finde, auch gut finden! Sonst nehmen meine Selbstzweifel Überhand. (Kennst du sowas?)
Hier hilft es, sich die Frage zu stellen, inwiefern unterschiedliche Lebensentwürfe und Lebensentscheidungen meiner liebsten Menschen meine eigenen Entscheidungen infrage stellen. Wie sicher stehe ich hinter meinen persönlichen Vorlieben und Abneigungen? Wie sicher fühle ich mich in mir selbst verankert? Nur dann, wenn ich mich in mir selbst stabil verankert fühle, kann ich anderen Menschen ihre eigenen Sichtweisen und Lebensentwürfe voll und ganz zugestehen.

Spürst du manchmal auch, dass es dich irgendwie persönlich piekst, was die Menschen um dich herum tun? Dass du es manchmal kaum aushältst, wie sie sich benehmen? Kennst du Fremdschämen? Oder fühlst du dich vielleicht durch ein bestimmtes Verhalten getriggert? Ich kenne das jedenfalls.

Dazu vorneweg: Im Rahmen meiner therapeutischen Ausbildungen habe ich sehr viel Selbsterkenntnis gewonnen und in zahlreichen Supervisionen Selbstreflexion betrieben.

Trotzdem könnte ich jedesmal aus der Haut fahren, wenn ich den Umgang eines mir gut bekannten Ehepaares miteinander beobachte. Sie behandeln einander oft wenig wertschätzend. Noch Stunden nachdem wir gemeinsame Zeit verbracht haben, beschäftigt mich das Verhalten der beiden. Obwohl ich genau weiß, dass ich sie nicht werde ändern können und dass es mich ja auch nicht kratzen müsste, wie sie miteinander umgehen, piekst es mich dennoch. Ich hätte so gerne, dass sie sich anders miteinander verhalten.

Warum möchte ich, dass die Menschen anders miteinander umgehen?

Gerade wir Frauen neigen dazu, im Leben der Anderen mitmischen zu wollen. Da wird auch vor Manipulationsversuchen nicht halt gemacht. Natürlich immer zum Schutz und zum Besten der Anderen. Ich behaupte, dass wir dies aber vor allen Dingen aus Selbstschutz tun. Wir tun das, weil wir mitfühlen! Und weil es – wie vorhin im Beispiel beschrieben – manchmal so unerträglich ist. Kennst du den englischen Ausdruck „I feel you“? Ich fühle dich. So wahr! Ich behaupte, dass Frauen eine tiefe Verbundenheit zu anderen Menschen meistens deutlicher spüren als Männer. Einer der Gründe, warum Frauen häufiger helfende Berufe ergreifen.

Nehmen wir es ganz genau, gibt es „Das Leben der Anderen“ nicht! Wir hängen alle am selben Faden. Es gibt nicht „mein“ Leben oder „dein“ Leben. es gibt nur „das“ Leben. Wie ich eingangs geschrieben habe, sind wir allesamt – durch das Leben – miteinander verwoben. Und das ist gut und richtig so. Wir bekommen einander mit. Darum möchten wir uns umeinander kümmern.

Und ich finde, dass wir auch weiterhin neugierig auf andere Menschen sein dürfen. Sein sollen. Der Pädagoge und Gesundheitswissenschaftler Udo Baer sagt diesbezüglich gerne: Neugierig sein bedeutet, sich zu interessieren. Es bedeutet: Ich interessiere mich für dich!

Wichtig dabei ist jedoch, dass ich bei allem Interesse an anderen Menschen nicht aufhöre mich für mich selbst zu interessieren. Überspringe ich mich selbst bei meinem Wunsch, Anderen zu helfen, brenne ich entweder aus oder die Hilfe wird immer halbherzig oder an Bedingungen geknüpft sein. Dass ich mich selbst im Blick behalte, mich um meine Gefühlslandschaft und mein Wohlbefinden gut kümmere, ist die Voraussetzung, Anderen in ihrer jeweiligen Lebenssituation Hilfestellung zu leisten. Gut, wenn ich mich dabei selbst nicht überfordere. Eine stabile Selbstverbindung ist die beste Basis von der aus ich kompetent mit allen und allem Anderen interagieren kann.

In diesem Sinne, alles Liebe,

Deine Daniela

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