Die Flucht aus dem Körper

Auf dem Bild ist eine Frau zu sehen. Außedem der Satz: Die Flucht aus dem Körper.


Die Flucht aus dem Körper.

Die Flucht aus dem Körper.
Fühlst du dich wohl in deinem Körper? Ist er gut zu dir? Und bist du gut zu ihm?

Wo stehst, sitzt oder liegst du gerade? Spürst du den Kontakt deines Körpers zum Boden, zum Stuhl oder zur Unterlage?

Wie fühlt sich dein Körper in diesem Moment an?

Wenn du einmal in deinen Körper hineinfühlst, welchen Körperteil spürst du am deutlichsten? Und woran merkst du, dass du diesen Körperteil spürst? Fühlt es sich warm oder kalt an? Kribbelt es?

Fragen über Fragen von denen einige gar nicht so leicht zu beantworten sind.


Das erste, und das letzte, womit wir es im Leben zu tun haben, ist unser Körper.

Die Geburt eines neuen Menschen ist eine höchst körperliche Angelegenheit. Sowohl für die Mutter als auch für das Baby. Jede Frau, die ein Kind zur Welt gebracht hat, weiß das. Für manche Frauen ist die Geburt ihres Kindes ein traumatisches Ereignis, viele haben Angst davor. Für andere ist ein Kind zur Welt zu bringen die große Gelegenheit, einmal über sich hinauszuwachsen.

Wer schon einmal einen sterbenden Menschen begleitet hat, weiß, dass der Tod ebenso ein ganz und gar körperliches Ereignis ist. Als ich meine Mutter ein paar Tage vor ihrem Tod das letzte Mal besucht habe, wollte sie nicht angefasst werden. Lediglich ihre Hand durfte ich halten. Eine Berührung am Arm war ihr unangenehm. Sie wirkte körperlich unruhig und hatte Mühe, still zu liegen. Sie war sehr alt geworden und es war an der Zeit, den Körper abzustreifen.

Sowohl das Eintreten ins Leben als auch das Heraustreten aus dem Leben sind mit körperlichem Drangsal verbunden.

Doch was ist in der Zwischenzeit? Wie körperverbunden sind wir den Jahren dazwischen?

Dazu hole ich mal ein wenig aus.

Der Herzschlag eines Kindes beginnt schon wenige Wochen nach der Empfängnis. Der Atem, und damit die eigenständige Verbindung zur Welt, folgt mit der Geburt. Zur Frage, zu welchem Zeitpunkt genau die Inkarnation stattfindet, habe ich unterschiedliche Aussagen gefunden. Ich nehme an, dass es eine Zeitspanne gibt, in der die göttliche Seele (Hindus sagen der Atman, manche nennen es das Sein) sich im Körper verankert.

Kommen wir einmal zum Atem. Der Atem geschieht. Erwachsene Menschen atmen pro Minute etwa 12 – 18 Mal. Kinder häufiger. Von Anfang an ist der Atem eine höchst individuelle Angelegenheit. Er ist so individuell wie ein Fingerabdruck.
Wir atmen üblicherweise unbewusst. Die Pranayama- Übungen im Yoga fördern einen bewussteren Umgang mit dem Atem. Mit ihnen kann man lernen, wieder zu einem natürlichen Atem zurück zu finden.
Warum ist das für immer mehr Menschen so erstrebenswert?
Weil unser natürlicher Atemrhythmus durch unsere Lebensführung gestört wird. Hohes Stressaufkommen, Trauma-Erfahrungen und/oder wenig Bewegung stören einen natürlichen Atemrhythmus und die Atemqualität. Das wirkt sich unter anderem kontraproduktiv auf die reibungslose Funktion unseres Nervensystems aus. Umgekehrt bietet der Atem allerdings gute Möglichkeiten, regulativ in unser Nervensystem einzugreifen. Das geht, weil es über den Atem sehr gut möglich ist, eine heilsame Verbindung zum eigenen Körper herzustellen.

(Nicht nur) traumatische Ereignisse zwingen uns dazu, Anteile von uns abzuspalten. Besonders bei frühen Trauma-Erfahrungen kommt es dann vor, dass wir zu diesen Anteilen in uns fortan keinen bewussten Zugang mehr haben. Im Körper sind sie immer noch gespeichert, sie sind uns nur nicht mehr zugänglich. Treten im Verlauf des Lebens Situationen auf, die uns an das vergangene Ereignis erinnern (Trigger), kann es sein, dass sie im Körper entsprechende Reaktionen hervorrufen, die wir nur unter großer Kraftanstrengung oder gar nicht kontrollieren können.

Da diese Körperreaktionen mitunter überwältigend sind, dominieren in diesen Situationen Gedanken wie: „Das muss weg!“,  „Ich will, dass das sofort aufhört!“ oder „Ich halte das nicht aus!“.

Als Folge daraus verdrängen wir unangenehme Körperphänomene oder wir kämpfen dagegen. Wir können oder wollen sie nicht spüren. Wir gehen aus der Körperverbindung. Eine Strategie, die sich nicht ewig aufrecht halten lässt.

Das Kämpfen gegen die Symptome bringt uns langfristig nicht weiter. Dies weiß ich aus eigener schmerzhafter Erfahrung. Warum kämpfen wir dann? Weil tiefe Angst uns treibt! Wenn du dich einmal umschaust, erkennst du, dass überall gegen Krankheiten „gekämpft“ wird.  Da heißt es: Der Kampf gegen den Krebs oder gegen Depressionen. Ebenso wurde – sehr erbittert, wie ich finde – gegen die Corona- Pandemie gekämpft. Und wer nicht gegen die Pandemie kämpfte, der kämpfte gegen diejenigen, die gegen die Pandemie kämpften.
Statt zu kämpfen wäre es meines Erachtens wichtiger, die eigene Präsenz im Körper zu unterstützen. Wenn wir lernen, bei schmerzhaften oder sogar unerträglichen  Körperphänomenen in die Körperverbindung zu gehen anstatt aus ihr heraus, wird es uns möglich, zu erkennen, welche Unterstützung wir gerade brauchen und welche nicht. Eine Gabe, die Heilungsprozesse maximal unterstützt.

Nachdem ich eine Zeitlang eine Form der Körpermeditation praktizierte, begann ich bei diversen Symptomen sehr genau zu spüren, zu welchem Zeitpunkt ich die Verbindung zum Körper nicht mehr aushielt. Ich floh sozusagen aus der Körperverbindung. Dies selbst zu erkennen, war für mich der Schlüssel zu gravierenden Veränderungen in meinem Körpererleben. Ich gab meinem geschundenen Körper das Versprechen, fortan zu bleiben, egal, was er auszuhalten hatte. Schließlich gehören wir für eine Lebensspanne zusammen. Es ist mir nicht von Anfang an gut gelungen. Aber es geht immer besser.

Heute ist mein Körper der wichtigste Parameter, der mir sehr zuverlässig anzeigt, wie ich in der Welt stehe.

Manche Menschen lenken sich auf alle erdenklichen Weisen von jeglichen körperlichen oder psychischen Widrigkeiten ab. Vielleicht arbeiten sie von früh bis in die Nacht. Andere schauen Netflix, beschallen sich permanent mit irgendwas, sind pausenlos auf Social Media unterwegs oder lesen ein Buch nach dem anderen. Unsere modernen Medien verführen uns regelrecht dazu, uns nicht zu spüren. Sie bieten Ablenkung ohne Ende und entsprechend konsumiert, verhindern sie eine tiefe Verbindung zum eigenen Körper. Momente der Langeweile sind in der modernen Welt nicht mehr vorgesehen. Das ist ungesund!

Wird das Unwohlsein allzu körperlich (z.B. bei Schmerzen), greifen manche allzu schnell zu Tabletten. Dabei sind gerade chronische Schmerzen ein Zeichen dafür, dass etwas tief in uns ins Ungleichgewicht geraten ist.

Als ich vor Jahren im Krankenhaus war, bekam meine 81-jährige Zimmernachbarin bereits morgens vor dem Frühstück 11 Tabletten. Ich fragte sie, wofür sie so viele Medikamente nehmen muss. Sie sagte, dass es angefangen hat, als sie in den Wechseljahren starke Schmerzen in den Gelenken hatte. Die Tabletten, die sie gegen die Schmerzen bekam, schädigten ihre Bauchspeicheldrüse so massiv, dass sie fortan zusätzlich Medikamente gegen zu hohen Blutzucker nehmen musste. Magenschutz, Herztabletten und etwas für die Verdauung folgten. So ging es weiter. 18 Tabletten musste sie insgesamt jeden Tag nehmen.

Bis heute lässt mich die Frage nicht los, wie man das so lange überleben kann.

Viele Frauen bekommen in den Wechseljahren rheumatische Beschwerden. Ich gehöre dazu. Nicht immer ist jedoch eine Erkrankung aus dem rheumatischen Formenkreis die Ursache. Bei mir sind es vor allem angeborene Fehlstellungen in den Hüftgelenken, die einige Zuwendung brauchen, damit ich schmerzfrei bin. Mit täglichem Yoga, Gymnastik und Draußen-Bewegung sowie einer achtsamen Ernährung schaffe ich das bis jetzt sehr gut.

Die Wechseljahre sind außerdem ein Zeitraum, in dem alles Verdrängte im Leben, alles bis dahin Unaushaltbare, sich noch (mindestens) einmal zeigt. Es möchte heilen können. Und das kann es nur, wenn es Würdigung erfährt. Durch uns selbst.
Auch wenn es verständlich ist, dass wir störende Unpässlichkeiten schnellstmöglich weg haben wollen, finde ich es wichtig, dass wir einen wohlwollenden Umgang damit lernen. Selbstmitgefühl, Selbst-Zuwendung und eine Prise Humor (Irgendwas ist ja immer!) sind nach meiner Erfahrung das Einzige, was dauerhaft hilft. Für wirkliche Heilung ist ein selbst-mitfühlendes Hinspüren in die Symptome erforderlich. Manchmal brauchen wir dafür Begleitung. Gerade psychische Beschwerden geben sonst nur kurz Ruhe und eventuelle Medikamentengaben zur Symptombekämpfung müssen schon bald erhöht werden. Warum ist das so? Weil das Leben stärker ist als Verdrängungsmechanismen oder Medikamente.

Wenn etwas gelebt und gespürt werden möchte, wird es wiederkommen. So lange, bis die damit verbundene Botschaft angekommen ist. Das gilt sowohl individuell als auch global.

Um dieses ganze Prinzip akzeptieren und verstehen zu können, ist es wichtig, dass wir wissen, dass nicht nur das, was sich gut anfühlt, seine Berechtigung hat. Wir sind, wie alles in der Schöpfung, auf Polarität ausgelegt. Schönes und Nicht-so-schönes will gelebt werden. Fühlen möchten wir das Nicht-so-schöne aber nicht. Das ist unser Problem. Das permanente Unterdrücken und Wegmachen wollen von Schmerzen, unangenehmen Gefühlen und Gedanken lässt diese wachsen.

Ich möchte dich ermutigen, auch schmerzhaften Episoden im Leben nicht länger auszuweichen. Unterstütze dich selbst darin, sie angemessen durchziehen zu lassen. Sei dabei nicht zu hart zu dir. Übe Gelassenheit. Das erfordert auch mal Rückzug oder besondere Aufmerksamkeit für dich selbst. Tue dir in schwierigen Phasen besonders viel Gutes. Sei gut zu dir, sei gut zu deinem Körper. Nimm wahr, was geschieht. Je besser du im Körper verankert bist, umso genauer erkennst du die größeren Zusammenhänge. Dann verlieren auch schmerzhafte Prozesse ihren Schrecken. Du lernst, zu vertrauen und erkennst besser, was du gerade brauchst und was nicht. Damit ist die beste Basis, heil zu werden, geschaffen.

Ich wünsche dir den Mut, deinem Körper in diesem Moment freundschaftlich zu begegnen. Hause dich ein in ihm. Wage mal wieder einen wertschätzenden Blick in den Spiegel. Dein Körper hat dich bis hierhin gebracht. Er ist ein Leben lang dein Zuhause.

Herzlichst, Deine Daniela

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