
Leben lernen – Ich habe noch so viel zu lernen
Leben lernen – Ein Leben lang.
Es ist gut, sich bei allem, was man weiß, nicht zu sicher zu sein.
Auch dann nicht, wenn wir schon einige Lebensjahre angesammelt haben.
Schmetterlingsflieder.
Wir haben insgesamt drei dieser Pflanzen im Garten stehen. Ich liebe den Anblick den sie in den Sommermonaten bieten. Sie sind wunderbar farbenfroh. Außerdem versammeln sie sowohl Schmetterlinge, Bienen als auch Hummeln auf ihren üppigen Blüten. Während der Sommersaison sind sie auch ein guter Sichtschutz. Fragte mich in der Vergangenheit jemand, was er noch in seinen Garten pflanzen könnte, war meine Antwort stets „Einen Schmetterlingsflieder (auch Sommerflieder genannt)“. Aus Umwelt- und Naturschutzgründen. Und natürlich für die Artenvielfalt.
Bis ich im vergangenen Jahr darüber informiert wurde, dass es bereits Länder gibt, die das Pflanzen von Schmetterlingsflieder unter Strafe stellen. Aus Umwelt- und Naturschutzgründen. Und um der Artenvielfalt wegen. Er ist ein Neophyt und verdrängt im großen Stil heimische Pflanzen. Außerdem wird ihm nachgesagt, dass sein Nektar die Schmetterlinge träge macht und sie so zur leichten Beute für andere Tieren werden.
Ups! Ich dachte, etwas sicher zu wissen, und habe es wirklich gut gemeint.
Dies ist ein verhältnismäßig einfaches Beispiel, um klar zu machen, dass das, was wir zu wissen glauben, nicht zwingend „in Stein gemeißelt“ ist.
Leben lernen – Ich weiß, dass ich nichts weiß
Du kennst das Zitat:
„Ich weiß, dass ich nichts weiß.“
Es wird dem Philosophen Sokrates zugeschrieben. Sokrates lebte von 469 v. Chr. bis 399 v. Chr. Ist also schon eine Weile her. Er hat eine wichtige Essenz des Lebens erkannt. Und treffend formuliert. Daran, dass wir uns in dem, was wir zu wissen glauben, nie zu sicher sein sollten, hat sich bis in unsere heutige, doch so aufgeklärte Zeit nicht allzu viel geändert.
Dieser Umstand soll uns natürlich nicht daran hindern, anderen durch unser Wissen und unsere Erfahrungen hilfreiche Unterstützung zu sein. Das Ganze wird erst dann zum Problem, wenn wir auf unserer Version der Wahrheit bestehen. Oder wenn wir andere nach unseren Vorstellungen von Wahrheit zu manipulieren versuchen. Wenn unser Stolz und unsere Scham es nicht zulassen, von lange festgehaltenen Sichtweisen auch einmal abzurücken. Wenn wir uns möglicherweise weigern, den Standpunkt des Anderen überhaupt in Betracht zu ziehen.
Ich weiß, dass ich nichts weiß.
Leben lernen – Als ich aufgehört habe, zu weinen
Als ich etwa zwölf Jahre alt war, habe ich aufgehört zu weinen. Meine Mutter hatte die Angewohnheit, wenn sie wütend auf uns Kinder war, sehr laut zu schimpfen und erst dann damit aufzuhören, wenn sie uns damit zum Weinen gebracht hat. Ich erinnere mich sehr deutlich, dass es ein Beschluss meinerseits war, dieses Spiel nicht mehr mitzuspielen. Ich riss mich fortan zusammen und focht einige innere Kämpfe aus, wenn sie laut wurde. Irgendwann funktionierte es. Und entsprechend dauerte es nicht lange, bis ich auch in anderen Situationen „hart“ bleiben konnte und nicht mehr weinte. Es war mir gelungen, eine dicke Schutzmauer um mich herum zu bauen. Durch diese Schutzmauer konnte mich niemand mehr verletzen. Kein Pfeil von außen drang mehr durch. Dachte ich. Jetzt war ich für das Leben gewappnet.
Lange hat es sich richtig angefühlt, nirgendwo mehr in Tränen auszubrechen. Für mich war es ein Zeichen von Stärke und Selbstbeherrschung. Nicht einmal auf Beerdigungen kamen Tränen. Besonders Schwer fiel es mir beim Anschauen von Filmen, die mich sehr berührten.
Irgendwann jedoch, fast unmerklich war es, dass es sich nicht mehr gut anfühlte.
Manchmal wurde es mir eng in der Brust und mir war nach weinen zumute. Oder ich fühlte Druck hinter den Augen. Nur ging es leider nicht mehr. Zu sehr war ich es gewöhnt, sämtliche Tränen unterdrücken. Mein Körper gab das nicht mehr her. Ich hatte zu weinen verlernt.
Später habe ich hin und wieder, wenn der innere Druck zu groß wurde, für mich alleine eine Musik aufgelegt. Musik durchdringt auch Mauerwerk. Es gab ein paar wenige Songs, die ihre Wirkung nie verfehlten. Das tun sie bis heute nicht. Dann durften endlich Tränen fließen. Abends, wenn ich alleine zuhause und die Kinder im Bett waren.
Dann kam die große Krise
Das ging so bis zu meiner großen Lebenskrise, die 2013 begann. Jetzt war ich darauf angewiesen, ganz neu leben zu lernen.
Plötzlich war alles anders. Meine sorgfältig aufgebauten und lange kultivierten Schutzmauern brachen innerhalb kurzer Zeit zu einem riesigen Trümmerhaufen zusammen. Und ich konnte nichts dagegen tun. Kein Vorsatz und keine vernünftigen Erklärungen halfen. Mein Körper entschied das für mich. Ein ganzes Jahr lang weinte ich jeden Tag. Oft mehrmals. Tränen, die ich irgendwelchen Ereignissen nicht mehr zuordnen konnte, flossen wie Sturzbäche. Es half alles nichts. Tränen, die von weit her kamen, ließen sich nicht länger zurückhalten. Ich fühlte mich hilflos, schutzlos und irgendwie ausgeliefert. Ich war ängstlich, wütend oder tieftraurig. Jede einzelne zurückgehaltene Träne fand nun doch noch ihren Weg nach draußen.
Das Leben hatte mich an einen Punkt gebracht, an dem ich das Weinen wieder lernen durfte.
Ich durfte außerdem lernen, dass Weinen kein Zeichen von Schwäche ist. Und dass Tränen heilende, schmerzstillende und beruhigende Kräfte haben.
Ich habe noch so viel zu lernen
Blicke ich auf mein bisheriges Leben, so könnte ich hier Beispiele ohne Ende anführen, möchte das Fazit aber kurz in einem Satz zusammenfassen:
Ich habe noch so viel zu lernen!
Sagst du dir das auch manchmal?
Leben lernen wir ein Leben lang.
Bis ins hohe Alter bleiben wir „Werdende“. Bis ins hohe Alter lernen wir dazu. Erkenntnisse, Offenbarungen und Lektionen bleiben uns unser gesamtes Leben lang nicht erspart. Ist ja auch klar, stellt uns doch jedes Alter seine eigenen Aufgaben. Besonders für Menschen, die durch schwere Krisen gehen müssen, macht es Sinn, alte Muster zu überdenken und neue Sichtweisen auszuprobieren. Jedes Festhalten an ungesunden Gepflogenheiten führt zu immer mehr inneren Konflikten.
Wenn wir das erst einmal erkannt haben, tun wir vor allem gut daran, in unseren Behauptungen bescheidener zu werden.
Leben lernen – Fehler und Irrtümer gehören zur menschlichen Entwicklung dazu
Das Annehmen der Erkenntnis, dass unser sicher geglaubtes Wissen fragil ist und jederzeit von neuen Einsichten abgelöst werden könnte, kann aber auch sehr entlastende Wirkung haben. Es zeigt, dass Fehler und Irrtümer zur menschlichen Entwicklung dazugehören. Sich damit auszusöhnen, kann unseren inneren Frieden nähren und uns damit sogar dem Weltfrieden näher bringen.
Wie das?
- Wir können uns den Umstand, dass wir ALLE Lernende sind, in Erinnerung rufen, wenn wir über unsere Nächsten Urteile fällen.
- In der Erziehung unserer Kinder macht es Sinn, sie weniger durch Verbote und Restriktionen zu lenken als sie zum eigenständigen Denken und Fühlen anzuregen und darin zu begleiten.
- Zeigen sich Gefühle wie Angst, Wut oder Traurigkeit bei Kindern (und auch Erwachsenen), sind diese ernst zu nehmen, auch wenn sie in meinen Augen gerade keinen Sinn machen.
- Als Coach oder Therapeut/in kommt es darauf an, die Kompetenz der Klienten zur eigenen Lösungsfindung zu unterstützen anstatt allzu viele vorgedachte Lösungen zu präsentieren.
Der Gedanke „Ich habe noch so viel zu lernen“ ist mittlerweile mein ständiger (und vertrauter) Begleiter. Das fühlt sich gut an. Wer sich diesen Standpunkt erlaubt, lebt leichter. Ich muss weder alles richtig machen, noch alles wissen. Dass ich es annehmen kann, immer noch Lernende zu sein, ist ein ausgezeichnetes Therapeutikum für meinen Hang zum Perfektionismus.
Erlaubst du dir, weiterhin zu lernen? Fällt es dir eher leicht oder eher schwer, neue Erkenntnisse gelten zu lassen? Wie ist es für dich, wenn du erkennst, mit bestimmten Mustern in die Irre gelaufen zu sein? Oder vor anderen Menschen zuzugeben, dass du einem Irrtum aufgelaufen bist?
Schreibe mir gerne, wie du diesbezüglich unterwegs bist. Es interessiert mich sehr.
In diesem Sinne
Alles Liebe …
Deine Daniela
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